Tierethik

Hintergrundwissen zu ethischen Fragen rund ums Tier ist Basis für einen vernünftigen Umgang mit diesen und zum Umgang mit deren Produkten. Einige Bücher, die einen guten Einstieg geben, stellen wir hier in loser Folge vor.

Tiere nutzen

Tiere nutzen?

Ist der Mensch ein Tier? Und wenn ja: Warum soll er nicht tun dürfen wie andere Raubtiere?
Worin denn unterscheidet sich der Mensch von Tieren, dass wir uns die Frage stellen, ob und wie wir Tiere nutzen sollen? Gibt es eine sanfte Art des Nutzens, einen fairen Deal?
Wie lässt sich eine Ethik des menschlichen Umgangs mit anderem Leben überhaupt begründen und entwickeln?

Zu solchen Fragen nehmen 39 Autor/innen Stellung - vom Bauernverbandspräsident über Amtstierarzt bis zum veganen Philosoph.

Dieses Buch liefert keine fixen Antworten, und erst recht keine einheitlichen. Aber es gibt Anstösse für Menschen, die das Bohren solcher Fragen spüren und ihm in die Tiefe nachgehen wollen.

Verunsicherung ist garantiert, Veränderungen sind nicht ausgeschlossen.

 

Buch «Tiere nutzen? Und Pflanzen?»
Gebundene Ausgabe, illustriert, 360 Seiten
Verlag edition mutuelle; Englisch/ Deutsch
ISBN: 978-3952478400

Preis inkl. Versand: Sfr. 40.-

Textprobe:

Rolf Frischknecht

Kurzfassung

Alles Leben verdient Schutz, und alle, die irgend ein Leben schützen, müssten zusammenarbeiten. Denn Gerechtigkeit und Lebenswert für die einen sind auf Dauer nicht zu haben, ohne dass sie auch andern zugestanden werden.

Summary

All life deserves protection, and all who protect any kind of life should cooperate. Because equity and a fair life for some will not last without conceding it to others as well.

 

Tierwohl garantieren oder aufs Nutzen von Tieren verzichten

Die anthropozentrische Wissenschaft wird Mühe damit haben, Empfinden bei Tieren nachzuweisen. Für wahr werden nur Dinge gehalten, die sich messen und mit einem bekannten Modell vergleichen lassen. Werden Wissenschafter von Auftraggebern finanziert, deren Gewinn durch die Feststellung eines höheren Bewusstseins einer Tierart negativ beeinflusst würden, wird es nicht geben, was es nicht geben darf. Ich wage trotzdem zu wissen, dass wohl alle Lebewesen Individuen sind und ein Ich haben, das Leid und Lust und mehr empfindet, aber vielleicht ganz anders, als wir uns vorstellen oder nachweisen können.
Ich kann trotzdem verantworten, dass Tiere genutzt werden. Aber nur, wenn ich alles dafür tue, dass das Tierwohl optimal gewährleistet ist und dass das Töten möglichst ohne Leid erfolgt.

 

Wofür und wie darf der Mensch Tiere nutzen?
Dr.med.vet. Rolf Frischknecht

Lieber Leser, liebe Leserin,
gerne schreibe ich einige Zeilen mit Gedanken über Tiere, deren Nutzen und meine eigene Ambivalenz.

Während ich das tue, picken meine 5 Hühner, geleitet von ihrem Hahn Linux, eifrig in unserem Garten herum. Sie müssen sich die Fragen nicht stellen, die uns gestellt sind. Sie wissen, was sie empfinden- und ich glaube sie sind glücklich, besser gesagt, ich weiss das.

Du stellst die Frage, welche Nutzung von Tieren wir dann für uns bzw. für die Menschheit noch für vertretbar halten würden, wenn die Wissenschaft eines Tages nachweisen könnte, dass Tiere vieler verschiedener Arten Leiden bewusst empfinden, dass sie über eine Persönlichkeit verfügen und als Individuen zu betrachten sind. Oder sogar Lust empfinden, Spass haben und so «sinnlose» Dinge tun, wie zum Beispiel spielen.

Aber: ist die Wissenschaft wirklich so weit, diese Dinge wirklich abklären zu können? Und will sie das überhaupt?

Die heutige Wissenschaft basiert auf dem naturwissenschaftlichen Prinzip. Fakten können nur wahr sein, wenn sie mit unseren Sinnen, Maschinen die unsere Sinne verstärken oder mit Tests und Labormethoden sichtbar, messbar und damit nachweisbar werden. Der Forscher beurteilt schliesslich die ihm vorliegenden Fakten, vergleicht sie mit bereits Bekanntem und zieht seine Schlüsse mit derselben Logik, die bereits auch andere Wissenschaftler als richtig angesehen haben.

Diese Logik begründet sich meist aus Vergleichen zum Menschen, ist also anthropozentrisch. Im besten Fall zieht man auch Vergleiche mit Säugetieren. Die so gewonnenen Schlüsse greifen aber bei anderen Tierarten – wie es sich am Beispiel der Fische zeigte – bereits beim Begriff Schmerz definitiv zu kurz. Insbesondere aber Themen wie Empfinden oder gar Lust und Spass sind schwierig zu messen und zu belegen - und der rationale Mensch geht dann einfach davon aus, dass es das nicht gibt, was man nicht sehen und messen kann.

Wenn dann Wissenschaftler noch von Auftraggebern mit wirtschaftlichen Interessen finanziert werden, für welche Feststellungen eines höheren Bewusstseins einer Tierart negative Einwirkungen auf Umsatz und Gewinn bedeuten könnten, kann davon ausgegangen werden, dass es das nicht gibt, was es nicht geben darf.

Doch brauche ich die Wissenschaft wirklich?

Immanuel Kant, der deutsche Philosoph, meinte in seinem bekannten Essay „Was ist Aufklärung“ im Jahr 1784: „Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“. Er geht noch weiter, indem er die Gründe für das Fehlen einer eigenen Meinung bei den Menschen als Faulheit und Feigheit sieht „Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelenforscher, der für mich Gewissen hat, einen Arzt der für mich die Diät beurteilt u.s.w. so brauche ich mich
ja nicht selbst zu bemühen“. …

Es mag unerhört und eventuell gar vermessen erscheinen. Aber ich wage zu wissen. Und ich weiss deshalb, dass wohl alle Lebewesen Individuen sind und ein ICH, also eine Persönlichkeit haben. Und dieses ICH empfindet - Leid, Schmerz, Lust, Spass, Freude und vieles mehr- aber vielleicht ganz anders als wir das uns vorstellen oder naturwissenschaftlich nachweisen können.

Je weiter weg diese Tiere im zoologischen Sinn von uns sind, desto schwieriger wird es werden, deren Empfinden nachzuweisen. Jeder Tierbesitzer wird mit mir einig sein, wenn ich ihm sage, sein Hund oder seine Katze zeige Freude wenn er heimkommt. Bei Vögeln und und Fischen wird das schon für viele schwierig begreifbar sein. Und je weiter weg man dann kommt, etwa bei Würmern oder Insekten, wird man wohl nur noch mitleidiges Kopfschütteln ernten, wenn man dort überhaupt nur ein Empfinden vermutet.

Wenn ich dies aber nun weiss, wie kann ich verantworten, dass diese Tiere getötet werden? Kann ich mir noch erlauben, diese zu essen?

Alle die Gründe, Tiere zu nutzen, die mit einem historischen Blickwinkel aufgeführt werden, sind heute nicht mehr haltbar. Für Kleider brauchen wir keine Wolle mehr, Schuhe können aus Kunststoffen hergestellt werden und längst gibt es andere Proteinquellen.

Faktisch könnten wir wohl auf die Haltung von Nutztieren verzichten.

Ich bin nicht konsequent in dieser Frage, sondern ambivalent. Ich trage Wollpullover und Lederschuhe, trinke Milch, esse noch Fleisch. Dazu müssen Tiere gehalten, genutzt und sogar getötet werden.

Jedes Leben endet mit dem Tod, und viele Tiere sind nur deshalb als Individuen existent, weil sie zur Nutzung dienen.
Verantworten kann ich eine Nutzung dann, wenn diesen Tieren ein möglichst artgerechtes Leben ermöglicht wird und final ein Tod ohne Leiden.
Hier muss man ansetzen.

Deshalb hier noch ein Wort zum Tierwohl. Wir Menschen fühlen uns wohl, wenn unsere Bedürfnisse nach Nahrung, Behausung und sozialem Kontakt erfüllt sind. Ich weiss, dass die Tiere prinzipiell dieselben Bedürfnisse haben. Tierwohl ist dann erreicht, wenn wir in der Haltung die natürlichen Bedürfnisse bestmöglich erfüllen können. Je nach Tierart sind die Detailanforderungen etwas anders und müssen teilweise zuerst erforscht werden.
Wenn wir aber Tiere nutzen wollen, müssen wir das Tierwohl garantieren können und sonst darauf verzichten.

Fleisch war vor noch nicht allzu langer Zeit ein Luxusgut. Höchstens am Sonntag gab es ein Stück Fleisch für den Vater- und für uns ein Stücklein davon. Der wirtschaftliche Aufschwung brachte Wohlstand und damit, fast als Statussymbol, täglich Fleisch auf den Teller. Das Töten ist immer weiter weg von den Konsumenten, die Koteletts sauber abgepackt in den Regalen. Ich bin mir sicher, wenn unsere Konsumenten Tiere selbst töten, ausweiden und zerlegen müssten, würde mancher auf Fleisch verzichten. Die heutige Gesellschaft verdrängt diese Themen. Irgendjemand, weit weg, im Schlachthof tut das für uns.
Auch wenn Jagd und Fischerei heute von vielen abgelehnt werden, sehe ich dort zumindest eine klare Ehrlichkeit, wenn es dem Eigenkonsum dient. Auch aus Tierschutzsicht ist ein fair gefischter Fisch und ein waidmännisch erlegtes Wild dem Fleisch von vielen Nutztieren, die unter fragwürdigen Bedingungen leben mussten, in jedem Fall vorzuziehen.

Der für mich richtige Weg ist deshalb, die tierischen Produkte mit Mass zu geniessen, darauf zu achten, woher diese stammen, wie die Haltungs- und Tötungsbedingungen gestaltet sind.

Weniger ist mehr- und vegetarisch oder gar vegan wäre wohl in der Konsequenz erstrebenswert. Für mich nicht immer, aber sicher immer öfter.

International gesehen ist Tierschutz aus vielen Blickwinkeln gesehen ein Luxusproblem. Menschen, die selbst um ihr Leben kämpfen müssen, Krieg, Hunger und Vertreibung erleben werden wohl nicht zuerst an das Tierwohl denken. Und doch ist in der Weltorganisation für Tiergesundheit OIE der Tierschutz seit 2001 ein Thema und kann in Zukunft im Welthandel eine Rolle spielen.

Fleisch- und Fischkonsum sollte aber insbesondere auch aus Gründen der Ökologie und Nachhaltigkeit kritisch betrachtet werden. Die Ressourcen unseres Planeten sind beschränkt. So sehr ein steigender Wohlstand allen Ländern zu wünschen ist- wenn er wie bei uns mit einer Steigerung des Verbrauchs an tierischen Lebensmitteln einhergeht, riskieren wir eine ökologische Katastrophe. Regenwälder werden gerodet um Land für die Viehfutterproduktion zu gewinnen, Meere werden überfischt, grosse Mengen klimaschädlicher Gase durch übermässige Viehbestände ausgestossen. Wir verbrauchen mehr, als die Erde liefern kann.
Das hat keine Zukunft- denken wir um solange es noch Zeit ist!
Es ist Zeit an unsere Kinder und Kindeskinder zu denken- wir haben nur eine Erde.

Nur eine tiergerechte und nachhaltige Nutzung sichert unsere Zukunft

Nun ist Abend geworden. Ich hätte noch viel zu sagen, wir könnten noch lange philosophieren.

Jetzt klopft aber unser Hahn Linux an die Scheibe der Balkontüre. Es ist Zeit für ihn hineinzukommen. Er ist als ganz junges Küken zu uns gekommen, im Kreis der Familie aufgewachsen, wurde von unseren Kindern gehätschelt und sogar unter dem Pullover gewärmt. Damit er nicht frühmorgens die Nachbarn weckt, haben wir ihn jeweils abends ins Haus zum Übernachten genommen. Und nun fordert er deshalb jeden Abend sein Recht.
Ich weiss dass Linux eine Persönlichkeit hat, ja sogar eine Persönlichkeit ist. Ich glaube sogar, er liebt uns- aber ich weiss ganz sicher, dass wir ihn lieben.
Wir würden wohl alle lieber hungern, als ihn zu essen.
Wenn er dann einst in die ewigen Pickgründe hinüberwechselt, wird er wie alle unsere Tiere ein Grab in unserem Garten erhalten.

Ich weiss, dass ich ambivalent bin.

Rolf Frischknecht

 

Und was ist mit Pflanzen? What about plants? eine vernetzte Sichtweise

Pflanzen? Ja natürlich – auch sie haben Respekt und pflanzengerechte Behandlung verdient.

Aber ich überlasse hier die Detailbetrachtung anderen Experten – und erlaube mir den Faden noch etwas weiter zu spinnen.

Als ich mich in einem elektronischen sozialen Medium als Tierschützer outete, hat das die meisten Freunde gefreut.
Die Kritik eines Einzelnen aber war schnell, klar und hart. Der Tenor war: «Wie kann man sich um Katzen und Hunde kümmern, wenn menschliches Leid uns tagtäglich vor Augen geführt wird?»


Beim Verfassen meines Beitrags über das Nutzen von Tieren dachte ich an den gesamten Bogen des Lebens, für den sich engagierte Menschen und Organisationen in je ihren Zusammenhängen einsetzen: Tierschützer, Umweltschützer, Artenschützer, Landschaftsschützer, Gewässerschützer, Menschenrechtsaktivisten, Hilfsorganisationen…
Auch wenn die Objekte unserer Bemühungen unterschiedlich sind, wollen wir alle etwas bewahren, verbessern, helfen, Werte verbreiten, kurz: eine bessere Welt schaffen. Wir sollten uns deshalb nicht voneinander abgrenzen, sondern soweit möglich zusammenspannen.

Es gibt keine menschenfreundliche Gesellschaft, die Tiere und Pflanzen plagt, so wenig es eine naturfreundliche Gesellschaft gibt, die Menschen unterdrückt – es hängt doch alles zusammen.
Nur wenn alle diese Engagements zusammenfliessen, entsteht daraus ein Fluss, der uns in eine für alle Lebewesen lebenswerte Zukunft führt.

Rolf Frischknecht